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Schlagwort-Archive: Journalismus

Das Handelsblatt schreibt über „Die Mär von den faulen Ausländern“:

„Viele Menschen sind überzeugt: Zuwanderer wollen nur den Sozialstaat ausnutzen. Eine neue Studie widerspricht der Stammtischeparole deutlich. Migranten wollen arbeiten.“

Bei derlei Beiträgen muss ich mich immer wundern. Warum? Weil ich keine neue Studie benötige um zu wissen, dass Menschen in der Regel arbeiten und ihrer sozialen Umgebung nützlich sein wollen. Man muss sie dies aber auch tun lassen und die richtigen Rahmenbedingungen dafür setzen. Über das Fehlen und die systematische Abschaffung dieser Rahmenbedingungen – positive Rückkopplungen – wünschte ich mir mehr Beiträge von den Papiermedien. Hier herrscht aber oft Schweigen im Blätterwald.

Man darf sich halt nicht täuschen lassen: auch wenn das Handelsblatt gegen die „Stammtischparole“ von BILD, Sarrazin u.a. schreibt, wärmt es gerade deren Stammtischparolen auf und versucht sich – auf billige – Art und Weise abzugrenzen und linksliberal davon zu positionieren. Dies lässt sich beim Spiegel, der Zeit, sogar der Süddeutschen und vielen anderen beobachten: ein großes Kartell, wenn es darum geht, eine bestimmte journalistische Linie zu verfolgen.

Man will sich von denen nicht täuschen lassen. Deshalb ist es gut, wenn man sich immer wieder wundert.

Eine aktuelle Studie der Universität Darmstadt (Forschungsgruppe Medien) unter Leitung von Prof. Geribert Jakob untersucht den gegenwärtigen Qualitätsjournalismus in Deutschland und kommt zu dem Schluss, dass eine Reihe wesentlicher und die Qualität des Journalismus bestimmender Faktoren sich in den vergangenen Jahren verschlechtert haben.

Zur Studie: „Begrenzter Journalismus. Was beeinflusst die Entfaltung eines Qualitätsjournalismus“

Besprechung von Rudolf Stumberger bei Telepolis: „Alles tun für einen festen Job“

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Zu diesem Thema sei jetzt doch einmal auf die Vorstellung des neuen Buches von Albrecht Müller, Gründer und Autor der nachdenkseiten, hingewiesen. Das Buch heißt „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“. In der Berliner Kulturbrauerei entwickelte sich aus diesem Anlass am 12. November ein interessantes Gespräch zwischen dem Autor, der Moderatorin Sabine Adler (Deutschlandfunk) und den Gästen Hans-Ulrich Jörges (Chefredakteur des Stern) sowie Oskar Lafontaine (Die Linke).

Jörges stimmte darin Albrecht Müller in der Analyse zu, dass die Politik und ihr Personal in hohem Maße von Finanz-Lobbyisten beeinflusst werde, bestritt allerdings die im Buch  behauptete bewusste Manipulation oder gar Unterwanderung der deutschen Qualitätsmedien durch wirtschaftliche Interessengruppen:

Bei Lukas Heinser ließ sich am Freitag nachvollziehen, wie überaus kreativ die kommerziellen Medien sich der Berichterstattung über Afghanistan und den Besuch des neuen Verteidigungsministers Guttenberg annahmen. Das übliche Schema: Gleiche Bilder, gleicher Text, häppchenweise unbedeutende Nachrichten, Debatten-Vermeidung. Heute kann sich der Zuschauer sozusagen das Dessert dieser Vermeidungsstrategie schmecken lassen: der Minister darf ganz allein ein Resumée seiner Reise ziehen, im „Bericht aus Berlin“, Moderator Reinald Becker fungiert glänzend als Sidekick.

Wieder mal Kaffee und Kuchen im ARD-Hauptstadtstudio

Fernsehzuschauer bekommen auch im achten Jahr des Einsatzes ihrer Bundeswehr von den gebührenfinanzierten Öffentlich-rechtlichen immer noch die gleichen dümmlichen Bilder und dämlichen Phrasen geliefert wie in jenen Zeiten, als sich kaum ein Deutscher für den Hindukusch interessierte: (Reporter) Christian Thiels war mit dem Verteidigungsminister in Afghanistan, der Schatten eines Hubschraubers wird gezeigt, wie er über den Sand huscht, Stimme aus dem Off: „Rote Erde, karges Land. Im Tiefflug nach Kundus. […] Der Minister spricht seinen Soldaten Mut zu und er hört die Geschichten, die der Krieg schreibt.“ Aha.

Der Verteidigungsminister spricht nämlich, seit er neuerdings den Namen Guttenberg trägt, wieder die Sprache seiner Soldaten. Aha. Er nennt die Dinge beim Namen, fühlt sich gar bemüßigt, „die Wahrheit auszusprechen“: „kriegsähnliche Zustände in Teilen Afghanistans“. Ohh. Später wird Sidekick Becker fragen: „Herr Minister, Sie schicken eine weitere Kampftruppe nach Kundus. Ist die Lage so ernst?“. Uiuiui. Eine regelrechte Fangfrage für den Verteidigungsminister.

Oder so: „Immer mehr Experten, inzwischen auch westliche Geheimdienstler sagen, neben den Taliban ist das eigentliche Problem in Afghanistan Präsident Karzai“. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass der Moderator schon wieder mit den (natürlich nicht namentlich genannten) „Experten“ wedelt, ist es ein altbekannter Fakt, dass Präsident Karzai ein Problem ist, nämlich weil er ein von Vetternwirtschaft und Korruption geleitetes Minderheits-Regime anführt. Die Taliban mit diesem in einen Topf zu werfen ist Unsinn. Deren Gotteskrieger erscheinen der Zivilbevölkerung inzwischen längst als friedliche Engel im Vergleich zu den Schergen der offiziellen afghanischen Polizei. Für eine solche Erkenntnis bedarf es auch keiner westlicher „Geheimdienstler“.

Wir müssen trennscharf abgrenzen, sagt der Verteidigungsminister: Völkerrechtlich liege kein Krieg vor, also dürfe das Wort auch nicht im Sinne des juristischen Sprachgebrauchs verwendet werden. Allerdings handele es sich im Gefühl der Soldaten und der Zivilisten eben doch um Krieg, und daher dürfe man das Wort im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs eben doch verwenden. Klar.

Keine Nachfrage des Moderators stört den Fluss dieser Sendung, kein Nachhaken unterbricht den Phrasen-Reigen. Darüber hinaus wird ungehemmt das politische Feld für eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes bestellt. Man lässt Herrn Volker Perthes von der Stiftung für Wissenschaft und Politik zu Wort kommen, einen stromlinienförmigen „Think Tanker“ also, und führt ihn selbstverständlich als „Experten“ in den Werbeclip ein. Dessen „Urteil“: „Man wird für ein oder zwei Jahre tatsächlich mehr Truppen brauchen um bestimmte Gegenden zu sichern, und sich dann umso leichter und umso erfolgreicher zurückziehen zu können.“ Die Stimme aus dem Off: „So sieht man das auch im Hauptquartier der Schutztruppe ISAF in Kabul: Langfristig sollen die Afghanen selbst mehr Verantwortung übernehmen, heißt es dort. Aber kurzfristig benötige man mehr Soldaten, auch aus Deutschland.“ Zynisch endet die Reisereportage: „Abflug nach Deutschland. Zurück in den Frieden, den sich auch Afghanistan so sehnlichst wünscht.“

Und was sagt uns die Tagesschau um 20 Uhr? Hier ging die Werbeveranstaltung weiter, allerdings im feierlichen Rahmen des Volkstrauertages. Hier durfte neben Guttenberg (beim Singen der Nationalhymne gezeigt und mit einem sonoren Statement zu „Frieden in aller Welt“ und so weiter) vor allem Bundespräsident Horst Köhler mahnen, dass möglichst viele – nein, möglichst alle Deutschen sich einig und geschlossen hinter den Einsatz ihrer Soldaten für mehr Frieden und Demokratie in der Welt stellen sollten. Das war´s.

Siehe auch:

Michael Lerner: „Just say ´NO´ to the war in Afghanistan“ (publ. am 15.11.09 bei commondreams.org)